HEPC Blog · 23.02.2022

«Jetzt ist die Zeit, die grossen Fragen zu stellen»

«Jetzt ist die Zeit, die grossen Fragen zu stellen»
Wir befinden uns in einer einzigartigen Phase, welche die Arbeitswelt der Zukunft prägt. Das sagt New-Work-Expertin Barbara Josef. Es gehe um mehr als die Entscheidung zwischen Homeoffice und Büro. Denn wir gestalten jetzt das künftige Wohlbefinden von Menschen und Organisationen

Vor rund zwei Jahren sind viele von uns ins Homeoffice umgezogen. Du sagst, dass wir unsere Zusammenarbeit jetzt auf ein höheres Level heben sollten. Was sind die nächsten Schritte?

Barbara Josef: Für mich ist das Erste, zu überlegen, was gute Zusammenarbeit bedeutet. Wir sollten im Team eine Auslegeordnung machen. Welches Ziel wollen wir erreichen und woran erkennen wir, ob wir auch als Team gut unterwegs sind? Was braucht es, damit wir unseren Job erfolgreich machen können? Und dann Spielregeln festlegen, die wir zum Beispiel in einem dreimonatigen Pilot ausprobieren.

Wie könnten Spielregeln aussehen?

Zum Beispiel könnte man auf zwei fixe Präsenztage fokussieren. Oder man entscheidet sich für drei Intensivtage pro Monat, und über den Rest der Arbeitszeit kann jede:r frei verfügen. Natürlich sind wir präsent, wenn es unsere Präsenz erfordert. Aber das Ziel sollte sein, jetzt bewusst Sachen auszuprobieren, uns selbst zu beobachten – und zu versuchen, das laufend zu verbessern.

Das klingt sehr individuell.

Viele Firmen würden sich eine klare Regelung für alle wünschen. Wir kommen aus dem Zeitalter der Regeln, aber die Aufgaben sind so unterschiedlich, dass das je nach Team anders aussieht. In einem Call-Center wird man eine andere Regelung finden, bei der man sich vielleicht lieber jeden Tag 30 Minuten austauscht. Im Innovationsteam wird man eher in Intensivphasen unterwegs sein. In einem Aussendienst-Team alterniert man vielleicht die Standorte, an denen man sich trifft. Die Regelungen werden sehr individuell sein. Und das gilt es auch auszuhalten. Wir werden mit diesen Unterschieden umgehen, ohne die Nerven zu verlieren und allen das Gleiche überzustülpen.

Sind Unternehmen und Menschen bereit dafür?

Ich glaube, die Pandemie hat lange genug gedauert, um ein Bewusstsein dafür entstehen zu lassen, dass man nicht ins Alte zurückgehen kann. Es wäre eine verschenkte Chance, wenn man all das Neue, was man gelernt hat, und die Lebendigkeit wieder begraben würde. Ich glaube, die Unternehmen sind sehr bereit – sowohl die Unternehmensleitung als auch die Führungskräfte. Es ist eher die Frage: Wie packen wir es am besten an? Wie stellen wir sicher, dass wir niemanden verlieren auf dem Weg dorthin? Ich nehme gerade eine besondere Aufbruchstimmung wahr, und ich beobachte das Thema jetzt doch schon länger.

Wie hat sich diese Bereitschaft verändert?

Wenn ich vor fünf Jahren ein Projekt begleitet habe, dann war das Thema «flexible Arbeitsformen» häufig auf neue Raumkonzepte reduziert. Jetzt steht viel mehr die Frage nach der Kultur als wichtigem Differenzierungsmerkmal im Zentrum, als Fundament einer Organisation. Die Diskussion wird auf einem viel höheren Niveau geführt, und auch die grösseren, wichtigen Fragen werden angesprochen: Wie stehen wir zueinander? Welches Menschenbild haben wir? Wie viel Vertrauen schenken wir? Wieviel Eigenverantwortung wollen wir? Die Diskussionen haben sich zum Positiven verändert.

2021 hast du mit dem Coworking-Institut eine Studie zu Coworking und Betrieblichem Gesundheitsmanagement durchgeführt. Was hast du dabei konkret gelernt?

Das Spannendste für mich war die Wahrnehmung des Menschen: In der Vergangenheit haben wir den Menschen in der Tendenz als Maschine gesehen, die acht Stunden produzieren kann. Jetzt erkennt man immer mehr, dass Arbeitsleistung auch mit der Umgebungsatmosphäre und persönlichen Energie zu tun hat. Wenn ich in einem Raum bin, in dem es eine gute Energie gibt oder wenn ich meinen Rhythmus so anpassen kann, dass es auch zu meinem persönlichen Rhythmus passt, kann ich ein Vielfaches an Leistung bringen. Dann bin ich viel kreativer. In der Vergangenheit hat man dies verdrängt.

Wie kam es zu diesem Gesinnungswandel?

Die Pandemie und das Experimentieren mit verschiedenen Arbeitsorten haben uns feinfühliger und aufmerksamer gemacht. Wie wirkt die Atmosphäre auf mich? Wie wirken andere Menschen auf mich? Wie kann ich meinen Arbeitsplatz so gestalten, dass ich maximale Energien habe? Diese Fragen kommen langsam in der Arbeitswelt an und lösen natürlich auch ein gewisses Unbehagen aus. Das sind Themen sind, die in der Managementsprache gar nicht verankert sind. Das Bewusstsein hat sich verändert.

Ein weiteres Learning aus der Studie?

Ja, man steuert auf einen neuen psychologischen Vertrag hin. Unternehmungen übergeben ihren Mitarbeitenden Verantwortung, indem sie sagen: Du kannst am besten entscheiden, wie du die beste Leistung erbringen kannst. Und die Mitarbeitenden müssen auch Verantwortung zeigen und in Notfällen auch zu Zeiten arbeiten, die vielleicht nicht zu den klassischen Bürozeiten zählen. Die Beziehung verändert sich grundlegend. Wenn beide sich dieser neuen Beziehung stellen, dann können beide mehr erreichen. Aber es ist eine anspruchsvolle Gratwanderung. Und noch ein drittes Learning: Die Öffnung.

Die räumliche Öffnung.

Früher gab es DEN Arbeitsplatz. Das war mein Schreibtisch oder mein Büro. Heute haben wir vielmehr die Haltung von Arbeitsorten. Bei einer Tätigkeit überlegen wir uns genau, was die beste Passung von Format und Ort ist. Beispielsweise wenn ich bei einem Projekt ein Kick-off zum Thema New Work mache, ist es vielleicht viel inspirierender zu sagen: Wir nutzen den externen Ideation Space, der ganz andere Methoden unterstützt. Nur schon bewusst in solch ein Umfeld hineinzugehen, hilft dem Projekt beim Gelingen.

Was bedeutet unsere heutige Remote Work für die Zukunft?

Im Moment haben wir eine Pseudo-Transformation: Wir machen das Gleiche wie zuvor, einfach mit digitalen Hilfsmitteln. Das führt dazu, dass viele Menschen in noch mehr Projekte involviert sind, noch mehr Kommunikation sichten müssen, noch mehr Zeit in Meetings verbringen. Wenn man wirklich individuelle und organisationale Flexibilität fördern möchte, muss man auf teilautonome Teams setzen und diesen auch mehr Kompetenzen geben.

Was müssen wir also tun?

Innehalten und auf die Pause-Taste drücken. Die Pandemie hat uns uns aus dem Alten herauskatapultiert. Eine solch grosse Lebendigkeit wird sich lange nicht wieder ergeben. Jetzt haben wir die Chance, etwas zu verändern. Bevor sich wieder alles setzt und wir in Routine versinken, sollten wir jetzt die grossen Fragen stellen.

Mehr zum Thema:

Über die Studie Coworking und Resilienz
Barbara Josefs Kolumne in HR Today

Zur Person

Barbara Josef ist Co-Founder der 5-9 AG. Sie begleitet Organisationen in Transformationsprozessen rund um die Themen neue Arbeits- und Lernwelten. Vor der Firmengründung 2016 war sie unter anderem Leiterin Kommunikation und gesellschaftliches Engagement als Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Schweiz, wo sie 2009 den «Home Office Day» (heute «Work Smart Initiative») mitinitiiert hat. Als überzeugte Coworkerin hat sie 2021 das Coworking-Institut ins Leben gerufen, gemeinsam mit Maria Bassi und Elisabeth Hirtl.

Barbara Josef über

E-Mails: Zu viele.
Komfortzone: Wichtiger, als wir denken.
Schlaf: Superwaffe.
Arbeitskolleg:innen: Coworking.
Pausen: natürliche Pausen wie Joggen oder Ortswechsel.
Zeitmanagement: Work in Progress.

Symbolbild: Bruce Mars / unsplash