HEPC Blog · 14.09.2022

«Man muss es wachsen lassen und Zeit haben»

«Man muss es wachsen lassen und Zeit haben»
Geduld gehört zum Geschäft. «Lass die Popcorntüte jetzt so. Es ist noch nicht Zeit zum Eingreifen», sagt sich auch Bankmanager Matthias Kottmann. (Bild: Yulia-Khlebnikova / unsplash)
Die Veränderungen im Bankensektor stellen Mitarbeitende und Führungskräfte vor Herausforderungen. In Teil 2 des Interviews sprechen Franca Burkhardt und Matthias Kottmann über den Widerspruch lateraler Führung und zeigen, was gesundes Change-Management mit Popcorn zu tun hat.

Lesezeit: 5 Minuten

Hier geht’s zu Teil 1 des Interviews.

Matthias, die Basellandschaftliche Kantonalbank (BLKB) hat zwei Schritte definiert, um die Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden zu entwickeln. In Schritt 1 wurden Führungskräfte in Sachen Leadership geschult. Ihr habt eine Sprache entwickelt, um im Team über Anforderungen und Fähigkeiten zu sprechen. Was ist Schritt 2?

Matthias Kottmann: Schritt 2 zielt darauf ab, dass die Mitarbeitenden durch den Dialog mehr Vertrauen in ihre Selbstwirksamkeit bekommen. Ich kann als Führungskraft einem Mitarbeiter nicht versprechen: «Du hast einmal den Change ins neue Berufsbild geschafft, das bleibt jetzt zehn Jahre stabil, und wir können durchatmen.» 

Was kannst du stattdessen tun?

Matthias Kottmann: Ich kann mit ihm ein Erfolgserlebnis schaffen und ihm zeigen, dass er gerüstet ist. So erkennt er seine eigene Selbstwirksamkeit und kann sich – wenn er das will – auch den neuen Herausforderungen ohne Angst stellen. Und er begreift: Wenn er sich diesen Herausforderungen nicht stellen kann, dann gibt es einen anderen Weg, ein anderes Berufsbild, das zu ihm passt. Damit begegnet er der Angst, dass es keinen Platz mehr für ihn gibt, wenn er nicht jede Evolution mitmacht. 

Ihr legt den Fokus auf die transversalen Kompetenzen. 

Matthias Kottmann: Mehr denn je. Früher wurden Menschen in der Organisation sehr wissensorientiert eingesetzt.

Wo begegnet man diesen transversalen Kompetenzen im Alltag?

Matthias Kottmann: Selbstorganisation ist ein wichtiger Punkt. Wie ist zum Beispiel meine Routine, mit E-Mails und Handys im Büro umzugehen? Wenn man das mit einer Person mit Hochschulabschluss thematisiert, kann es sehr schnell bevormundend wirken. Trotz ihres akademischen Werdegangs hat die Person nie gelernt, wie sie idealerweise mit der Mailflut umgehen kann. Bei allem, was mit Selbstorganisation zu tun hat, stelle ich immer wieder fest, dass Menschen mit einer Abwehrhaltung reagieren.

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Matthias Kottmann
Durch seine Berufserfahrung vereint Matthias Kottmann Projekterfahrung und Strategie mit dem direkten Kund:innenkontakt der Bankberater:innen. Bei der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB) ist er Teamleiter im Bereich Privatkunden und führt eine Einheit mit rund 100 Personen. (Bild: zvg)

Im Sinne von: «Sind wir hier im Kindergarten?»

Matthias Kottmann: Ja. Wenn ich allerdings meine Erfahrung als Vater ansehe: Im Kindergarten liegt der Fokus stark darauf, die Menschen weiterzuentwickeln. Und trotzdem formuliert man sehr klare Regeln. Die Hausschuhe gehören genau an diesen Ort, und es kann sie nicht jede:r an einen anderen Ort legen. Nur wenn solche Routinen gegeben sind, gibt es Raum für Entwicklung. Am Arbeitsplatz sind die Leute oft überfordert: Der Individualismus wird betont und wir agieren mit der Prämisse, jede:r sei schon matur in der eigenen Arbeitsorganisation. Der Umgang mit E-Mails und Handys ist ein Beispiel, das uns wohl noch weiter herausfordern wird und bei dem wir Fingerspitzengefühl anwenden müssen. Wir wollen die Menschen nicht bevormunden, aber wir brauchen gemeinsame, relativ konkrete Verhaltensregeln, die uns helfen, soziale Interaktionen zu verbessern oder auch mein gefühltes Stresslevel zu senken.

Franca Burkhardt: Ich glaube, dass Kompetenzentwicklung in Unternehmen unser Verständnis infrage stellt, was es bedeutet, erwachsen zu werden. 

Wie meinst du das?

Franca Burkhardt: Ab dem Moment unserer Volljährigkeit bleiben wir nicht zu jedem Zeitpunkt gleich erwachsen. Wir gliedern uns sozial ein und können so durchaus in eine Situation kommen, in der wir eher Verhaltensweisen zeigen, die wir von Kindern oder Jugendlichen kennen. Wenn wir uns sozialen Hierarchien und Regeln unterwerfen, geben wir einen Teil der Eigenverantwortung ab, bewusst oder unbewusst. Gleichzeitig haben wir die Perspektive des Unternehmens, das sagt: Wir wollen nur noch vollwertige Erwachsene, die zu jedem Zeitpunkt reflektiert sind und intervenieren können – und trotzdem wollen wir Hierarchien. Sie sollen gehorsam bleiben und zur Not machen, was man ihnen sagt.

Ein offensichtlicher Widerspruch.

Franca Burkhardt: Ja, wir kommen damit an ein Limit von dem, was in meinen Augen psychisch machbar ist. Wenn ich gehorsam sein und Dinge abschätzen sollte, die ich als Person eigenverantwortlich nicht wählen würde – und gleichzeitig muss ich meine Eigenverantwortung haben, damit ich resilient sein kann. Es geht also darum, diesen Dialog zu führen: Wann erwarte ich als Führungskraft oder Unternehmen, dass der Mitarbeiter sehr eigenverantwortlich und erwachsen auftritt und seine ganze Wirkung entfaltet – und wann erwarte ich, dass er darauf verzichtet?

 

Matthias Kottmann: Das finde ich sehr treffend. Mit dem Abbau von Hierarchien und dem lateralen Führungsverständnis hat man genau diesen Widerspruch bei den Mitarbeitenden festgestellt. Auf einmal fehlte den Menschen Klarheit. Es gab diffuse Zustände, bei den Aufgaben und auch im Zwischenmenschlichen. Eine extreme Version von lateraler Führung setzt Skills voraus, welche die meisten Mitarbeitenden nicht haben. Diese Zustände überfordern und führen zu Ineffizienz. 

Was können wir dagegen tun? Wie bleiben wir dran?

Franca Burkhardt: Die Schwierigkeit ist diese diffuse Situation, und das erleben auch viele Eltern mit pubertierenden Kindern. Das Gehirn ist ganzheitlich leistungsfähig, es ist unter dem Einfluss von Hormonschwankungen, aber sonst läuft es. Einen Jugendlichen kann man nicht so bevormunden, dass er lebensunfähig wird. Er muss sich vorbereiten für den Sprung ins erwachsene Homo-sapiens-Dasein – und gleichzeitig braucht er eine Anleitung. Eltern, die das sehr professionell machen, kommen von einer Elternrolle in eine sehr differenzierte Führungsrolle hinein.

Was zeichnet diese elterliche Führungsrolle aus?

Franca Burkhardt: Viele Gespräche und Streit. Diskussionen darüber, wo die Grenze ist, wo man den Jugendlichen machen und ausprobieren lässt und wo man interveniert, weil die Eltern noch die Verantwortung haben.

Und übertragen auf die Bank?

Franca Burkhardt: Wir müssen irgendwann die Verantwortung abgeben. Nehmen wir als Beispiel eine Finma-Regulierung. Der Regulator will immer eine Ansprechperson, ein verantwortliches Elternteil. «Wir als Team teilen uns das.»: Das geht nicht. Es muss eine Einzelperson sein, die rechtlich verfolgt werden kann. Deswegen ist die Hierarchie wichtig. Nicht Hierarchie zum Selbstzweck, sondern um die Verantwortung zu definieren. Natürlich ist ein Mitarbeiter in der Lage, ganz viel selbst zu gestalten. Aber seine Rolle ist so definiert, dass er nicht die Verantwortung für alles trägt, sondern eben für gewisse Dinge. Das muss klar sein. Dann ist auch die Frage: Wo gehört Resilienz und Selbstführung hin? Oder wie wird Resilienz von geteilten Verantwortlichkeiten auch beeinträchtigt? Wie kann ich mich selbst steuern, wenn ich während 8.5 Stunden eine Rolle wahrnehmen muss und vielleicht auch mehr weiss als die Person, die das Thema gegenüber einem Regulator verantwortet? Und wie gehe ich damit um, wenn diese verantwortliche Person in ihrer Unwissenheit mir plötzlich Vorschriften macht, die meiner Einschätzung nicht entsprechen? 

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Dr. Franca Burkhardt
Mit ihrem Unternehmen Bandy Analytics begleitet Franca Burkhardt Organisationen in ihrer Entwicklung und im Organisationalen Changemanagement. Sie ist Partnerin von skillaware, gestaltet mit ihrem Team das Jahresprogramm und betreut das skillaware-Netzwerk. (Bild: zvg)

Der Mitarbeiter weiss es besser, aber er trägt nicht die Verantwortung.

Franca Burkhardt: Als Chef kann man etwas mit Kraft durchprügeln oder man macht es so, wie ich es vorhin mit den pubertierenden Jugendlichen erwähnt habe: Man wendet Zeit auf, das zu diskutieren, die Rollen zu definieren. Führungskräfte und Mitarbeitende müssen in einen Dialog kommen über das, was eigentlich intuitiv laufen sollte: der schwierige Teil des Rollen-ausfüllens, des Verantwortung-tragens, des Aufeinander-angewiesen-seins und des Sich-abgrenzen-müssens. So funktioniert es nicht nur im Privaten, sondern auch in Unternehmen, gerade wenn Rollenveränderungen stattfinden. Irgendwann werden das Rollenverständnis und die Absprache wieder zur Routine.

Und alles beginnt von vorne.

Franca Burkhardt: Wenn man in der Destabilisierungsphase ist, hat man das Gefühl, das höre nicht mehr auf und man könne es nicht schaffen. Das ist anspruchsvoll. Aber man muss es wachsen lassen und Zeit haben. Gefährlich wird es, wenn die Führungskräfte nicht qualifiziert sind dafür und keine Zeit dafür da ist.

Matthias Kottmann: Eine gewisse Entspannung entsteht auch dann, wenn man weiss, dass gewisse Prozesse lang dauern. Wenn es um Veränderungen in der Kultur geht, das ist wie mit dem Mikrowellenpopcorn: Das Management stellt die Tüte in die Mikrowelle, stellt die Maschine an, und da fliesst ganz viel Energie auf den Mais. Die ersten 90 Sekunden dreht sich der Mais, und es passiert gar nichts. Das muss ich wissen, wenn ich Popcorn mache. Egal wieviel Hunger ich habe, es geht nicht schneller. Ich habe alles gemacht, dass die Rahmenbedingungen gegeben sind, und wenn ich nach 90 Sekunden abstelle, das Päckchen schüttle usw.: Das kommt nicht gut. Ich muss genau nichts machen und es noch einen Moment aushalten, und dann plötzlich habe ich eine Tüte voll Popcorn.

Was geschieht in der Realität im Unternehmen?

Matthias Kottmann: Ich glaube, es gibt viele Manager, die nicht so gut darin sind, Mikrowellenpopcorn zu machen. Auf dem Päckchen steht 2 Minuten 40, das finden sie nicht ambitioniert genug. «Wir schaffen das in zwei Minuten. Das ist ja meine Grundattitüde.» Also schütteln sie schon nach einer Minute das Päckchen. Aber es nützt nichts. Da muss ich mir auch selbst immer wieder sagen: «Lass die Popcorntüte jetzt so. Es ist noch nicht Zeit zum Eingreifen.»

Zum Abschluss: Welchen Wunsch an die Unternehmen und die Mitarbeitenden habt Ihr in Bezug auf Selbstmanagement und Stressmanagement? 

Matthias Kottmann: Mein Wunsch ist: Nicht immer alles so ernstnehmen. Manchmal braucht es ein bisschen weniger Professionalismus und ein bisschen mehr Familiarität, das Ganze auszuhalten.

Franca Burkhardt: Ich würde mir wünschen, dass die Führungsgarde auf C-Level wieder eine gewisse Bescheidenheit erlernt, vor allem im Umgang mit sich selbst. Wenn man an der Spitze der Hierarchie steht und denkt, nichts mehr lernen zu müssen, ist das erstens nicht wahr und zweitens ist es das Zeugnis einer extrem bedenklichen Ego-Entwicklung. Es bringt Unternehmen in Schwierigkeiten. Jede Entwicklung – gerade wenn man Hierarchien hat – beginnt an der Spitze der Hierarchie. Wenn man von Resilienz, Selbstführung, Impulskontrolle und Selbstreflexion spricht, sollte das vor allem vorgelebt werden. 

skillaware
Skillaware ist eine schweizweite Kampagne, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Bankmitarbeitenden zu befähigen, sich mit der eigenen Kompetenzentwicklung und dem Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit auseinanderzusetzen. Hinter skillaware stehen die Verbände Arbeitgeber Banken, der Schweizerische Bankpersonalverband sowie der Kaufmännische Verband.

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