HEPC Blog · 31.08.2022

«Packt die Kompetenzentwicklung im Team an»

«Packt die Kompetenzentwicklung im Team an»
Theoretisches Wissen nützt wenig, wenn man es nicht in eine Kompetenz übersetzt. Und das gelingt im Team besser als im Alleingang. (Bild: Brooke Cagle / unsplash)
Die Bankenwelt ist im Wandel, und die anstehenden Veränderungen lösen Stress aus. Wie die Branche dem begegnet und warum wir alle riskieren, inkompetente Wissensträger zu werden: Ein Gespräch mit Franca Burkhardt von skillaware und Bankmanager Matthias Kottmann.

Lesezeit: 5 Minuten

Wenn es um Stressmanagement und Resilienz geht: Wo seht Ihr aktuell die grossen Herausforderungen in der Schweizer Bankenwelt?

Franca Burkhardt: Ich möchte erst einen Schritt zurück machen. Selbstmanagement, Resilienz, Lernfähigkeit, all die Ich-und-ich-Kompetenzen: Davon sind alle Bereiche der Gesellschaft betroffen, alle Unternehmen und Wirtschaftszweige. Man befindet sich in einem Spagat: Einerseits kann man sich maximal alles erfüllen, andererseits muss man diese Vielfalt an Wahlmöglichkeiten psychisch überhaupt auch ertragen. In diesem Spannungsfeld müssen auch die Mitarbeitenden der Banken die Wünsche der Kundschaft stillen und deren Folgen für die Organisation aushalten. Nicht zuletzt müssen dann auch noch die Bedürfnisse der Organisationen gestillt werden. Es ist in vielen Bereichen ein Spannungsfeld zwischen Wunsch und Können. So wird in Organisationen die traditionelle Hierarchie zunehmend verschrien, und gleichzeitig ist es für Mitarbeitende nicht immer so einfach, die ganze Eigenverantwortung wirklich zu tragen. Man möchte von allem das Optimale haben. Das stellt den Menschen und die Organisation vor grosse Herausforderungen.

Was unterscheidet da die Bankenbranche von anderen? 

Franca Burkhardt: Banken haben noch mehr Robbenfett, mit dem sie auch in schwierigen Zeiten überleben. Nun verändert sich aber auch ihr Markt immer schneller, und die Fettreserven gehen langsam aus. Mit anderen Worten: der Druck bei Banken ist da, kommt immer mehr, einfach mit zeitlicher Verzögerung. 

Matthias Kottmann: Wenn man Manager in der Bankenbranche fragt, dann sagen sie: Es gibt kaum eine Branche, die so stark im Wandel ist wie unsere. Man hat immer das Gefühl, jetzt kommt gleich die grosse Bedrohung um die Ecke.

Matthias, wie geht es der Branche?

Matthias Kottmann: Es geht ihr noch gut. Die neuen Technologien prägen die Branche in zweierlei Hinsicht. Einerseits fällt die gewohnte Konstanz weg. Die Berufsbilder verändern sich, denn für repetitive Tätigkeiten werden keine Menschen mehr gebraucht. Das schafft grosse Unsicherheit. Das stabile Berufsbild, auf das man sich bis zur Pensionierung verlassen konnte, gibt es nicht mehr.

Andererseits?

Matthias Kottmann: Die Technologie schafft auch vielfältige Möglichkeiten, zu kommunizieren und Beziehungen zu gestalten. In der Ursprungsphase waren E-Mails, Chats und Messenger dafür da, die echte Kommunikation zu unterstützen. Inzwischen ersetzen sie die reale Kommunikation oder kannibalisieren sie gar. Dabei wären die sozialen Beziehungen für die Resilienz eines Teams sehr wichtig. Das sieht man auf der Gruppenebene. 

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Matthias Kottmann
Durch seine Berufserfahrung vereint Matthias Kottmann Projekterfahrung und Strategie mit dem direkten Kund:innenkontakt der Bankberater:innen. Bei der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB) ist er Teamleiter im Bereich Privatkunden und führt eine Einheit mit rund 100 Personen. (Bild: zvg)

Und auf der persönlichen Ebene?

Matthias Kottmann: Da sind es simple Sachen wie Selbstorganisation, Medienkonsum, das persönliche Informationsverhalten. Man ist dauernd abgelenkt. Das ist nicht nur ein technologisches, sondern auch ein kulturelles Thema der Bankenhierarchie. Jeder sollte gut informiert sein, aber bis zu einem gewissen Grad werden die Menschen damit alleingelassen. 

Ein Beispiel?

Matthias Kottmann: Das Intranet kommuniziert transparent und wartet täglich mit sehr vielen Informationen auf. Als Mitarbeiter bin ich nirgends ausgeschlossen. Aber nicht alle Informationen sind für mich relevant. Es gibt keinen Filter, und so lenken mich Dinge ab, die mich gar nicht betreffen. 

Dein Bereich sind die Kundenberater:innen. Welche Anforderungen stellen die Kund:innen an deine Mitarbeitenden?

Matthias Kottmann: Franca hat vorhin vom Robbenfett gesprochen. Ich frage mich, ob die Banken dieses Fett wirklich noch haben. Banken haben ein Angebot, das zwar wichtig für die Lebensumstände ist – aber es ist nicht spannend. Wie Dentalhygiene.

Mit welcher Konsequenz?

Matthias Kottmann: Banken werden nicht mehr nur mit ihresgleichen verglichen, sondern generell mit Dienstleistungsunternehmen. Der Anspruch der Kund:innen ans Dienstleistungserlebnis steigt. Früher konnte man als Bank kompliziert sein, vielleicht auch distanziert. Heute hat die Kundschaft eine andere Erwartungshaltung.

Hinzu kommt, dass die Kundenberater:innen ihre Verkaufsziele erreichen müssen. Sonst klappt es nicht mit dem Bonus.

Matthias Kottmann: Das Spannungsfeld zwischen Verkaufsziel und Beratung für den Kunden kannte man früher schon. Aber heute ist der Aufhänger ein anderer. Während wir früher ein Produkt verkauft haben, ist die Beratung komplexer geworden. Ich muss mich viel mehr auf den Menschen einlassen. Viele Kundenberater:innen mögen die soziale Interaktion, das Gespräch mit unseren Kund:innen ist ihre Stärke. Parallel dazu müssen sie grosse Systemkenntnis und prozessuales Verständnis haben, die Technologie beherrschen. Noch ist es uns nicht gelungen, die Frontmitarbeiter:innen in diesem Bereich zu entlasten.

Hier kommt skillaware ins Spiel. Was ist eure Idee?

Franca Burkhardt: Die Frage, die wir uns gestellt haben: Wenn Faktoren wie Digitalisierung und neue Berufsbilder relevanter werden, wie können wir die Betroffenen den neuen Verhaltensweisen wenigstens annähern? Zunächst wurde mit den beteiligten Verbänden viel über Wissensvermittlung gesprochen. Es entstand eine Diskussion darüber, was Wissensvermittlung bringt. Fachwissen kann man trainieren und so in eine Fachkompetenz umwandeln. 

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Dr. Franca Burkhardt
Mit ihrem Unternehmen Bandy Analytics begleitet Franca Burkhardt Organisationen in ihrer Entwicklung und im Organisationalen Changemanagement. Sie ist Partnerin von skillaware, gestaltet mit ihrem Team das Jahresprogramm und betreut das skillaware-Netzwerk. (Bild: zvg)

Aber?

Franca Burkhardt: Wir alle kennen das: Am Schluss können wir nicht alles Wissen automatisch umsetzen. Wir lesen all diese Dinge, aber wann lernen wir, sie anzuwenden? Wir riskieren, zu inkompetenten Wissensträgern zu werden. Es kommt in der Realität nicht nur darauf an, was ich weiss, sondern was ich umsetzen kann. Deswegen haben wir gesagt: Wissensvermittlung reicht nicht, wir müssen unsere Kompetenzen und somit unser Gehirn trainieren, in fachlichen und in transversalen Kompetenzen. Wobei der Fokus hier klar auf den transversalen Kompetenzen liegt. Ein weiterer Fokus ist, es soll kein Leistungswettbewerb sein. Nicht jeder kann alles bis zum Maximum trainieren, aber jeder kann einen Schritt machen. Das ist die Überlegung hinter skillaware.

Ihr vermittelt kein Wissen? 

Franca Burkhardt: Den Kanal Wissen nutzt auch skillaware. Wir können Themen, Menschen und Möglichkeiten zeigen, aber danach fängt es erst an. Jede Stunde des Tages bietet die Möglichkeit, das Gehirn zu trainieren, Kompetenzen zur Anwendung zu bringen.

Eine Inspiration zum Weitermachen.

Franca Burkhardt: Ja – oder eine Aktivierung. Wenn wir die Herausforderungen meistern wollen, die auf uns zukommen, wenn wir uns mit hochintelligenten technischen Systemen messen, müssen wir in der Lage sein, unser Wissen anzuwenden und unser menschliches Gehirn in allen Kompetenzbereichen voll auszuschöpfen. Eine Maschine kann das Telefonbuch zwar in einer Sekunde auswendig lernen, aber wir Menschen erfassen in Millisekunden soziale Zusammenhänge, Handlungsoptionen und ausgewogene Lösungswege. 

Matthias Kottmann: Letztendlich ist das ganze Wissen wertlos, wenn ich es nicht in eine Kompetenz übertragen kann. Erst dann komme ich ins Handeln. Im Prinzip geht es um Routinen, die ich ändern muss. Und das ist unheimlich schwierig – gerade im Bereich Resilienz. Da gibt es viele unscheinbare, aber schwierige Routinen, die – wenn man sie nachhaltig verinnerlicht hat – sehr hilfreich sind.

Franca Burkhardt: Das Hauptproblem ist: Man schlägt dem Hirn nicht etwas auf der grünen Wiese vor. Ohne dass es uns bewusst ist, hat sich das Hirn im Laufe unseres Lebens Wege erarbeitet, wie es Dinge erledigt. Wenn wir eine neue Routine etablieren wollen, müssen wir diese gängige Praxis nachhaltig ersetzen. Ob das klappt, merkt man erst, wenn man auf ein gewisses Belastungslevel gerät. Dann nämlich schaltet das Hirn in die gängige Praxis – und wenn ich kognitiv noch so gut weiss, was der beste Weg wäre. 

Wie kann man das durchbrechen? 

Franca Burkhardt: Mein Ansatz: Packt die Kompetenzentwicklung nicht allein an, macht es im Team. Dann wird es auch lustig, wenn etwas nicht gelingt. Man straft sich nicht gegenseitig ab, sondern kann miteinander darüber lachen, und man probiert es wieder. So schaffen wir es besser. Deswegen ist Kompetenzentwicklung selten ein einsamer Tanz, sondern mehr wie ein Teamsport.

Wie setzt das die BLKB um?

Matthias Kottmann: In einem ersten Schritt haben wir eine Sprache gefunden, um über Anforderungen und Fähigkeiten zu sprechen. Welche Anforderungen werden an die Einzelperson gestellt und welche Kompetenzen sind notwendig, um den Job zu erfüllen? Wenn man das regelmässig thematisiert, kann man viele diffuse Ängste beseitigen, die damit einhergehen. Es gibt ein Kompetenzprofil, ich kann mit meiner Vorgesetzten darüber reden, und sie sagt mir: «Du erfüllst das.»

skillaware
Skillaware ist eine schweizweite Kampagne, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Bankmitarbeitenden zu befähigen, sich mit der eigenen Kompetenzentwicklung und dem Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit auseinanderzusetzen. Hinter skillaware stehen die Verbände Arbeitgeber Banken, der Schweizerische Bankpersonalverband sowie der Kaufmännische Verband.

Wie meinst du: Ihr habt eine Sprache dafür gefunden?

Matthias Kottmann: Wenn man einen klassischen betriebswirtschaftlichen Hintergrund hat, kann man sich zwar fachlich artikulieren, aber um einen wertschätzenden Dialog mit den Mitarbeitenden zu führen, fehlte die Sprache.

Franca Burkhardt: Man hat lange gesagt, die Fähigkeit, gut zu führen, komme mit der Erfahrung. Ich sehe das nur bedingt als richtig, zumindest dann nicht, wenn Führung mehr ist als gesunder Menschenverstand und etwas Sozialkompetenz. Personenführung, als Beispiel, ist ein Fachgebiet. Würde es mit der Erfahrung des Lebens automatisch kommen, dann wäre das etwa so, als könne ein Mensch aufgrund seiner Lebenserfahrung Psychotherapeut werden. Führungskräfte sind keine Psychotherapeuten, aber auch hier liegt ein Berufsbild in der zwischenmenschlichen Begleitung vor. Menschen zu führen, heisst, dass diese Menschen einem etwas anvertrauen, ein Stück Verantwortung. Mitarbeitende sind manchmal richtig verletzlich, wenn es um die Wirkung ihrer Führungskraft geht. Führungspersonen haben daher auch eine gewisse Macht oder zumindest Einfluss auf ihre Mitarbeitenden, und diese Verantwortung muss professionell kanalisiert werden. Es gibt natürlich Führungskräfte, die das können, weil sie ein Talent haben – aber eben nicht alle und schon gar nicht die Mehrheit. Sie müssen das lernen. Sie müssen ein Verständnis dafür entwickeln, worauf man achten muss, welche Instrumente man nutzen kann, wie man kommunizieren muss etc.

Das hat die BLKB gemacht?

Franca Burkhardt: Ja. Sie sagt: Das ist nicht einfach eine Tätigkeit, sondern eine berufliche Ausprägung. Dahinter stehen Wissen und Kompetenzen, und eine Disziplin ist, dass man Menschen und Organisationen entwickeln kann. In diesem Bereich der Organisationssteuerung hat man viel investiert, sodass alle eine gemeinsame Sprache haben. All das haben die Führungskräfte erlernt – in einer Ausbildung und über jahrelange Entwicklung.

Wie kommt das bei den Mitarbeitenden an?

Matthias Kottmann: Wir haben sehr gutes Feedback bei der Wahrnehmung der Führungskräfte. Auf verschiedenen Ebenen hat eine Steigerung stattgefunden. Einerseits weiss ich als Mitarbeiter klar, woran ich arbeiten könnte oder wie der Blick auf mich ist. Auf der anderen Seite hat das auch die Beziehungsebene entlastet, denn man kann die Beziehung und die Aufgabe auseinanderhalten. Je nach Grad der Selbstreflexion eines Mitarbeitenden gelingt das natürlich unterschiedlich gut. Eine Kritik kann heissen: «Du bist nicht geeignet für diese Aufgabe.» Und das wird nicht missverstanden als: «Du hast mich nicht mehr gern.» Wir sind jetzt beim 1. Schritt. In den nächsten Jahren werden wir gezwungen sein, mehr in die Details zu gehen, wenn es um das konkrete Verhalten der Mitarbeitenden am Arbeitsplatz geht. 

Lies weiter am 15. September 2022: In Teil 2 unseres Interviews sprechen Franca Burkhardt und Matthias Kottmann über den Widerspruch der lateralen Führung und zeigen, was gesundes Change-Management mit Popcorn zu tun hat.